Die Amsel – Vom Waldvogel zum Kosmopoliten
- Text: Ernst Hofmann, Unterkulm
- Bild: zVg.
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Die Amsel ist in unseren Breiten einer der bekanntesten Singvögel. Männliche Tiere sind schwarz und haben einen auffällig gelb-orangen Schnabel und Augenring. Das Amselweibchen tritt dezenter auf. Mit schlichtem braun-gräulichem Gefieder und gesprenkelter Brust wirkt es bescheiden und unauffällig.
Und das muss es auch sein: In der Brutzeit, wenn es in seinem halb offenen Nest im Gebüsch sitzt, verschmilzt es mit seiner Umgebung und ist für Fressfeinde schwer zu entdecken. Ursprünglich handelte es sich bei Amseln um Waldvögel. Als Kulturfolger verlagerte sich spätestens im 19. Jahrhundert ein Teil der Populationen in Richtung der Stadtparks, Friedhöfe und Gärten. Heute ist die Amsel mehrheitlich ein urbaner Vogel, der sich an die Nähe von Menschen gewöhnt hat.
Wie ist dies zu erklären? Was die Amsel in die Stadt lockte, waren wahrscheinlich die Vorteile, die sich in Bezug auf die Nahrungssuche ergaben. Hauptnahrung sind Insekten, Würmer und andere Tiere, im Herbst und Winter kommen noch Beeren, Früchte, Samen und Körner hinzu. Mit einem grossen und abwechslungsreichen Nahrungsangebot bietet das Stadtleben viele vom Licht angezogene Insekten, Rasenflächen mit zahlreichen Regenwürmern, Beerensträucher, Nahrungsabfälle, Futterstellen u. a. m. Höhere Durchschnittstemperaturen bis zu 4 °C erleichtern den Vögeln zudem das Überleben in Kälteperioden. So bleiben viele Stadtamseln als Standvögel ganzjährig bei uns. Zudem bieten Parks mit Bäumen, Hecken und Gärten mit Sträuchern ideale Amselbrutplätze.
Das Kunstlicht in Städten beeinflusst sowohl den Tages- als auch den jahreszeitlichen Rhythmus der Vögel. Durch die Dauerbeleuchtung in der Stadt sind Stadtamseln länger wach, tagsüber aktiver und beginnen früher zu singen. So beginnen sie mit dem Werbe- und Reviergesang bereits im Januar, statt im Februar wie die Waldamseln und haben bei günstigen Bedingungen bis zu fünf Bruten im Jahr. Auch zeigte sich durch Forschung, dass die Stadtmännchen früher geschlechtsreif werden. Doch jede Medaille hat auch eine Kehrseite. Das Leben in der Stadt ist nicht nur für den Menschen, sondern vor allem auch für die Tiere mit Stress und zusätzlichen Gefahren verbunden. So werden in der Stadt weniger Eier gelegt und der Bruterfolg fällt meist niedriger aus. Auch ist die Sterberate sowohl unter Jungtieren als auch bei erwachsenen Amseln höher als bei den Waldamseln: Viele Tiere fallen Verkehr, Katzen, dem Zusammenstoss mit Fensterscheiben und Umweltgiften zum Opfer.
Die ständige Geräuschkulisse und der Verkehrslärm in der Stadt zwingen die Amseln dazu, gegen die Störgeräusche anzusingen. Deshalb singen urbane Amseln lauter, in höheren Tonlagen und in kürzeren Strophen. Langfristig gesehen hat sich die Amsel in ihren 150 Jahren Stadtleben an das Leben in der Stadt angepasst: Der Siedlungsraum hat einen evolutionären Prozess angestossen, der nicht nur Verhaltensveränderungen, sondern auch genetische Veränderungen auslöste. Neue Studien haben nun offengelegt, wie gross das Ausmass ihrer Andersartigkeit tatsächlich ist. Lärm und Licht haben Verhalten, Fortpflanzung und Gesang der Stadtamsel dauerhaft verändert. So kommt es, dass Stadtamseln in Stresssituationen weniger Stresshormone als Waldamseln ausschütten. Auch sind sie weniger neugierig und haben ein variables Fluchtverhalten. Vermutlich selektiert das Stadtleben Individuen, die besser mit urbanem Stress zurechtkommen.
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