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Veröffentlicht 06. Januar 2021

Rotkehlchen – niedlich, kämpferisch und emanzipiert

  • Text und Bild: Ernst Hofmann
  • Urheber-/Nutzungsrechte: Link öffnen

Nicht nur äusserlich und beim Singen sind Weibchen und Männchen gleich sondern auch betreffend Eigenständigkeit, Besitz und Kampfgeist – eine emanzipierte Partnerschaft! Saisonehe und Singleleben – eine besondere Lebensform im Vogelreich.

Besonders im Winter erfreut das Rotkehlchen uns Menschen am Futterbrett mit seiner zierlichen Schönheit und seinem stimmungsvollen Gesang. Durch die rundliche Gestalt, das leuchtend orangefarbene Antlitz und mit den grossen dunklen «Knopfäugli» löst es bei uns den Jö-Effekt aus. Die Art zählt zu den häufigsten Brutvögeln der Schweiz. Weibchen und Männchen sind rein äusserlich nicht zu unterscheiden. Im Herbst ziehen viele heimische Rotkehlchen weg in den wärmeren Süden. Rotkehlchen sind im Herbst und Winter Einzelgänger, besetzen ein eigenes Revier und markieren dieses akustisch durch Gesang. Daher singen Rotkehlchen fast das ganze Jahr und zwar nicht nur die Männchen, sondern auch die Weibchen, allerdings ein wenig leiser. Den kleinen süssen Rotkehlchen mag man es kaum zutrauen, aber sie können sehr rabiat, aggressiv und durchsetzungsfähig sein. Selbst ihr Spiegelbild oder eine Attrappe bekämpfen sie aufs heftigste, es könnte ja ein Rivale sein.

Insbesondere die orangerote Brust löst beim Rotkehlchen Angriffslust aus. Auch bei der Winterfütterung tauchen die Rotkehlchen solo auf, ansonsten wird gekämpft. Schon früh im neuen Jahr singen die Männchen von hoch oben auf einer bevorzugten Singwarte. Für dieses Mal markiert das Männchen nicht nur sein Revier, sondern möchte damit auch einer Partnerin imponieren. In der Regel sind es die Weibchen, die in das Revier eines Männchens eindringen und zunächst als Rivale wieder verjagt werden. Doch die Weibchen sind hartnäckig. Nach mehreren Versuchen zeigt das Männchen Interesse und beginnt, vor dem Weibchen zu singen, das sich ihm daraufhin nähert. Dieses Verhalten wiederholt sich in einem bizarren Ritual von Singen und Verfolgung, bis das Weibchen das singende Männchen kreuz und quer jagt. Haben sich die beiden aneinander gewöhnt, so kommt erst einmal eine Zeit der gegenseitigen Nichtbeachtung. Wenn die Zeit gekommen ist, gibt das Weibchen Bettelrufe von sich und wird vom Männchen gefüttert. Selbst Weibchen, die in einem vollen Futternapf stehen, richten solche Bettelrufe an ihre Männchen. Während des Nestbaus und der Eiablage fordert das Weibchen dann mit einem speziellen Ruf und in vorgeneigter Haltung zur Kopulation auf. In diesen etwa zehn Tagen kommt es mehrmals zur Begattung. Sobald das Weibchen brütet, wird es vom Männchen versorgt.

Die Rotkehlchen führen eine sogenannte Ortsehe, d.h. beide Partner bleiben ihrem Brutrevier über Jahre treu. Während Rotkehlchenpaare zur Brutzeit fest zusammenhalten und auf Leben und Tod gegen Fremdlinge kämpfen, gehen sich die Partner nach dem Ausfliegen der Jungen strikt aus dem Wege. Sie trennen sich von allen Gemeinsamkeiten. Das Revier wird geteilt in eine weibliche und männliche Hälfte. Falls die beiden über den Winter südwärts ziehen, treffen sie sich im Frühjahr wieder am alten Ort in ihrem Revier. Dann beginnt wieder die Suche nach Nähe und Verständnis. Die trennenden Grenzen der Einzelreviere werden aufgelöst und die alte Ehe kann wieder neu aufflammen. Man spricht hier von monogamer Saisonehe, die sich zur Brutzeit am gleichen Ort jeweils mit gleichem Partner wiederholt. In der übrigen Zeit sind beide Geschlechter vogelfrei – frei wie ein Vogel.

Autor: Ernst Hofmann, 5726 Unterkulm 


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