Die Schlange im Galgenhölzli, im Wynenthale
Als letzten Sommer im Aargauer-Dorfe Menzikon das Brod einige Rappen theurer war als auf der benachbarten Wynenmühle im Kt. Luzern, so schickte eine arme Haushaltung jenes Dorfes ihren Knaben um Brod gewöhnlich auf die Mühle an der Luzerner-Grenze.
Der Fussweg dorthin geht durch das Galgenhölzli. In diesem Wäldchen suchte sich der heimkehrende Knabe einst noch einige Reisen zusammen und trug sie sammt seinem Brode heim.
Hier im Gestrüppe erblickte er aber eine Schlange mit einer Goldkrone auf dem Kopfe, und blieb erschrocken stille stehen. Die Schlange kam jedoch auf ihn zu und redete ihn freundlich an: Woher kommst du denn, mein Knabe? Als er ihr erzählt hatte, dass sie daheim wenig zu essen hätten und er da wohlfeileres Brod geholt habe, erwiederte sie: Ihr seid wohl recht arme Leute, aber solcher Noth ist bald abzuhelfen, wenn du mir aufs Wort folgen willst. Komm nur nächsten Samstag wieder hieher, da werde ich dir den Schatz zeigen, den ich schon hundert Jahre lang bewachen muss, und wenn du dann nicht fliehst und nicht schreiest, so ist er dein, ich bin erlöst und du bist des Brodholens für immer ab. Der Knabe war bald dazu bereit und stellte nur die Frage, ob er nicht wenigstens seien Mutter mitbringen dürfe; allein die Schlange sagte: Bei Leibe nicht, kein Mensch darf dich begleiten, ganz allein musst du sein, sonst kannst du mich nicht antreffen. Auch dies versprach er ihr und die Schlange verschwand; so gieng auch der Knabe heim und hatte zu Hause so lange keine Ruhe, als bis sein Abenteuer der Mutter erzählt war. Diese war thöricht genug, es weiter auszuplaudern, und in kurzer Zeit wussten alle Nachbarsleute davon. Als nun der Knabe am nächsten Samstag Nachts sich auf den Weg ins Galgenhölzli machte, war ihm eine Schar Neugieriger schon vorausgelaufen und eine andere gieng ihm nach, kurz, die Sache war verraten und die Schlange blieb aus.
Darüber erzürnte sich das Volk gar sehr, es hielt sich für betrogen, man nannte den Knaben und seine Mutter Lügner. So wurde den der Kleine die Woche darauf vor den Gemeinderath geholt und die Wahrheit seiner Geschichte befragt. Natürlich hatte er nichts anders zu sagen, als man schon wusste. Als man aber hinlänglich in ihn hineingefragt hatte, ob er diese Begebenheit nicht halb erlogen in einem Schulbuche gelesen habe, bekam man die voraus erwartete Antwort und strafte den jungen Sagenerzähler mit einer Tracht Prügel ab.
(nach Rochholz, Schweizer Sagen)
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