Damit die Kirche im Dorf bleibt …
Hätten Sie's gewusst?
… oder etwas ausserhalb.
Reformierte Kirche in Reinach (Bild: Reto Fuchs)
Das typische Dorfzentrum stellt man sich wohl in etwa so vor: Mitten im Dorf stehen da das Gemeindehaus, die Kirche, ein Restaurant, Einkaufsmöglichkeiten und der Gemeindesaal / die Mehrzweckhalle in unmittelbarer Nähe zueinander – häufig gesellt sich auch noch ein Brunnen dazu. Gäbig für die Dorfbewohner, da alle diese Gebäude und Institutionen nahe beieinander liegen.
Nicht so in Reinach: Hier liegt die Kirche etwas ausserhalb des Dorfzentrums an erhöhter Lage und schon fast in der Nähe der Grenze zu Beinwil am See. Etwas seltsam …
Genauso seltsam ist auch die nachfolgende Geschichte:
Wie die Reinacher Kirche zum Dorf hinaus kam
Zur Reformationszeit kamen die Gemeinden Reinach und Beinwil überein, gemeinsam eine Kirche zu bauen. Reinach war damals schon bei Geld und versprach, sämtliche Taglöhne für den Bau zu berappen.
Das kleinere Beinwil sollte dafür Holz und Steine liefern; das Holz aus jener Waldnutzniessung, welche ihm bisher von der Reinachern grosszügig aus dem Gemeindebann zugestanden worden war.
Soweit verlief alles in Ordnung, und das Material war bald bereit. Nur über die Wahl des Bauplatzes konnten sich die beiden Dörfer nicht einigen. Die Reinacher sagten, die Kirche «gehöre ins Dorf», und schlugen daher einen Platz in der Nähe der Linde vor, die bei jenem Schlösschen steht, das man den «Schneggen» nennt. Die Beinwiler hingegen bestanden darauf, dass die Kirche auf jenem Hügel errichtet werde, der zwischen den beiden Ortschaften liegt, damit sie nicht zu jeder Kindstaufe und Hochzeit den weiten Weg vom Ufer des Hallwilersees bis in den oberen Teil des Nachbardorfes zurückzulegen hätten. Diesem langwierigen Streit dadurch ein Ende zu bereiten, dass Alt und Jung sich zusammentat und alle Quadern und Balken ins Oberdorf hinauftrug, und zwar bis gegen den Schneggenturm.
Doch diese Arbeit war umsonst, denn am anderen Morgen befanden sich Steine und Tannenbretter an jener Stelle, die sich die Beinwiler zum Bau der Kirche wünschten. Diese Wanderung des Materials betrachtete man als Wink des Himmels, und so baute man die Kirche auf halbem Weg zwischen den beiden Gemeinden, damit keine einen Vorteil oder Nachteil hatte.
Doch auch damit war der Sache kein Ende gemacht: Die Reinacher fanden weiterhin, es sei zu weit zur Kirche, und die Beinwiler, die sich das Gleiche nicht nachsagen lassen wollten, errichteten später eine eigene Kapelle.
(nach Rochholz, Schweizer Sagen)
Historisches
Ursprünglich gehörte Reinach zur katholischen Pfarrei Pfeffikon. Mit der Einführung der Reformation im Berner Aargau 1528 mussten die Reinacher sonntags den Weg ins weiter entfernte Gontenschwil unter die Füsse nehmen, da Pfeffikon weiterhin katholisch geblieben war. Eine diesbezügliche Beschwerde beim Rat der Stadt Bern wurde gutgeheissen und die Reinacher erhielten am 1. April 1528 die Erlaubnis, eine eigene Kirche zu errichten. Rund ein Jahr später war der Bau vollendet – das erste als solches in der Schweiz gebaute reformierte Kirchengebäude. 1664 musste die Kirche infolge Einsturzgefahr renoviert werden, gleichzeitig wurde auch der Turm erhöht. 1776 folgte die Verlängerung des Kirchenschiffs und 1904/05 der Anbau einer Vorhalle.
«Die Kirche im Dorf lassen»
Bedeutung:
Nicht übertreiben, keine zu grosse Sache aus etwas machen, sachlich bleiben, den Ball flach halten.
Herkunft:
Die Kirche bildete das Zentrum des Dorfes. Bei gut besuchten kirchlichen Anlässen soll es aber auch vorgekommen sein, dass wegen des grossen Besucheransturms auf die Wiese vor dem Dorf ausgewichen werden musste. Kritiker waren aber der Meinung, dass die Kirche im Dorf bleiben soll, da, wo sie hingehört. Ausser in Reinach ;-)
Quellen:
Wikipedia
Wynentaler Sagen und Gedenkobjekte, Dr. Karl Gautschi, Menzach Verlag 2021
Luzerner Zeitung, Andreas Faessler
… das hani wörkli ned gwösst!
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