Das Vertrauen bröckelt
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Kein Berufsstand hat eine so hohe soziale Reputation, wie der ärztliche. Wir sind aber gerade dabei, diesen grossen Vertrauensbonus, welche uns die Bevölkerung gibt, zu verspielen.
Abrechnungsbetrug, Gabe von nicht zugelassenen Medikamenten, Durchführung von nicht notwendigen Operationen … um nur die derzeit in den Medien diskutierten Probleme zu nennen, trägt nicht gerade zu einer Steigerung des Vertrauens, welches uns die Patienten entgegenbringen, bei.
Leider ist es nicht abzustreiten. Auch in unserem Berufsstand gibt es – wie in jedem anderen auch – Kollegen, welche nicht das moralisch-ethische Rüstzeug mitbringen. Trotzdem muss bei jedem Fallbericht erst einmal die Unschuldsvermutung gelten. Sind aber Untersuchungen durchgeführt und eine Entscheidung der aufsichtführenden Gremien getroffen worden, bedarf es auch entsprechender Konsequenzen und nicht einem «weiter so».
Im normalen Wirtschaftsleben betrügt man gegebenenfalls noch ein anderes Unternehmen. Berechnet ein Chefarzt aber beispielsweise Honorare für nicht von ihm selbst durchgeführte Operationen, betrügt er einerseits die Krankenkasse, andererseits den Staat – also im Rahmen der Solidarversicherung uns alle. Ich war als junger Oberarzt selbst in so einen Fall involviert, bei dem mein Chefarzt Operationen von mir bei privatversicherten Patienten für sich abgerechnet hatte, so, als hätte er sie selbst durchgeführt. Er war nicht einmal anwesend. Das Gesundheitsdepartement St.Gallen beliess es damals bei einer Abmahnung.
Zu unnötigen Operationen:
In unserem Fachgebiet beispielsweise ist das Einholen einer Zweitmeinung eine gute Möglichkeit, z. B. eine OP-Notwendigkeit abzusichern. Drei Ärzte, vier Meinungen ... die landläufige Vermutung ist nicht so ganz falsch. Es gibt in der Medizin zwar klare Leitlinien, aber innerhalb dieser Leitlinien verschiedene Interpretationsmöglichkeiten. Behandle ich beispielsweise eine Arthrose des inneren Kniegelenkes operativ mittels Beinachsenkorrektur, Teilersatz oder Vollersatz des Kniegelenkes? Hierzu gibt es auch in unserem Fachgebiet sehr unterschiedliche Meinungen, auch abhängig von Erfahrung und der «chirurgischen Schule», aus der man kommt.
Für Patienten, welche eine gewisse Unsicherheit bei ihrer Entscheidung verspüren, macht es demzufolge durchaus Sinn, sich eine Zweitmeinung einzuholen.
Wir Ärzte sind abhängig von der Mitarbeit und damit vom Vertrauen des Patienten, dass der therapeutische Weg, den wir mit ihm gehen, der richtige ist.
Dr. Michael Kettenring
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