
Der Schimpanse im Menschen
- Text: Ernst Hofmann, Unterkulm
- Bild: Frans de Waal
- Urheber-/Nutzungsrechte: Link öffnen
Affen, die sich bis aufs Blut bekämpfen und einander die Köpfe einschlagen. Davon berichtet die britische Primatenforscherin Jane Goodall, die im Nationalpark von Tansania Mitte der 70er-Jahre über den Zeitraum von mehreren Jahren eine Kolonie Schimpansen beobachtete.
Nachdem sich die männlichen Schimpansen in zwei Teilgruppen gespalten hatten, begannen sie, einander brutal zu bekämpfen. Und das, obwohl sie noch kurz zuvor zusammen gejagt, gefressen und gespielt hatten. Die grössere Gruppe drang systematisch in das Gebiet der kleineren ein. Meist attackierten sie in der Überzahl. Bekamen sie einen einzelnen Gegner zu fassen, töteten sie ihn, indem sie ihm Arme und Beine ausrissen. Danach tranken sie sein Blut. Die Gruppe hörte erst mit den Überfällen auf, als alle Feinde ausgelöscht waren. Der Krieg dauerte vier Jahre. In anderen Langzeitstudien konnten Forscher beobachten, wie Schimpansenmännchen nach einem Massaker die Weibchen des fremden Stammes entführten.
Schimpansen sind unsere nächsten Verwandten. Menschen waren bis vor ca. zwölftausend Jahren als Jäger und Sammler in Gruppen zu ca. 150 Personen unterwegs, bis sie sesshaft wurden und über Sprache und Schrift Kulturtechniken entwickelten und grössere Gesellschaften und Staaten entstanden. Unser tierisches Erbe haben wir durch die Kultur nicht einfach verloren und teilen immer noch viele stammesgeschichtliche Überbleibsel mit unseren nächsten Verwandten. Manchmal sind Parallelen augenfällig. So verüben auch unter den Menschen die Männer den Grossteil der Gewalt und sie bevorzugen wie Schimpansen Dominanzgewalt, also Angriffe in der Überzahl. So greifen Schläger beispielsweise in Gruppen an und suchen sich schwache Opfer. Auch Territorialkämpfe zwischen kriminellen Gangs unterscheiden sich im Kern wenig vom Krieg der Affen in Tansania.
Ebenso sind wir Menschen nahe mit den Bonobos, den Zwergschimpansen, verwandt. Frans de Waal, ein niederländischer Affenforscher, beschäftigte sich mit ihnen und betont, dass sie deutlich sanftmütiger sind als ihre grossen Vettern. Nach Konflikten vertragen sich die Bonobos wieder, indem sie sich küssen, streicheln und Sex miteinander haben. Doch selbst diese «Hippies» sind stammesorientiert. Die Versöhnung findet nur mit denjenigen Mitgliedern der Gruppe statt, mit denen sie gemeinsame Bedürfnisse teilen und sind nur entspannt, solange genug Nahrung vorhanden ist. Werden die Vorräte knapp, ähnelt ihr Verhalten immer mehr dem von Schimpansen. Auch hier ist die Parallele zum Menschen angedeutet: Wie Schimpansen und Bonobos sind auch wir Menschen für zwei Komponenten sensibilisiert, die den Gruppenzusammenhalt sicherstellen, nämlich die Prinzipien Autorität und Loyalität: Kooperation bei gemeinsamen Interessen, harte Kämpfe, wenn die Lage schlecht aussieht. Autorität regelt die Hierarchien, wer das Sagen hat. Loyalität bindet die Gruppe zusammen und grenzt sie gegen andere Gruppen ab. In der Zivilisationsgeschichte des Menschen sind die Gruppen oder Stämme immer grösser geworden. Bestanden die Gruppen ursprünglich aus den Familienclans, so gab es immer grössere Gemeinschaften, auch wenn sie in der Ferne lebten, wie Religionsgemeinschaften, und irgendwann bildeten sich Nationalstaaten mit Mitgliedern, die ein Bürgerrecht haben.
Obwohl von der Forschung beim Menschen neben höherer Intelligenz, Einfühlungsvermögen (Empathie) und solidarisches Verhalten (Altruismus) nachgewiesen werden konnte, favorisieren wir noch immer zuerst die eigene Gruppe. Damit ist die Hoffnung auf einen globalen Weltfrieden immer noch geprägt durch das Stammesverhalten.
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