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Veröffentlicht 05. Februar 2025

Epigenetik – Wir können unsere Gene steuern

  • Text: Ernst Hofmann, Unterkulm
  • Bild: PollyDot auf Pixabay
  • Urheber-/Nutzungsrechte: Link öffnen

Die klassische Vorstellung von der Übertragung von Eigenschaften der Eltern auf ihre Nachkommen bezieht sich auf die genetischen Faktoren. Nach diesem Konzept ist jeder Mensch das Ergebnis seines Genmaterials.

Dieser Code trägt eine unveränderte Information, die sich von Generation zu Generation weitervererbt, wenn er nicht durch krebserzeugende Stoffe, UV- oder Röntgenstrahlung beschädigt wird. Das genetische Material allein bestimmt also, wer wir sind, unabhängig von unserer Lebensweise oder unserer Umwelt. Inzwischen ist es eine wissenschaftliche Tatsache, dass neben den genetischen Faktoren auch die durch die Umwelt veränderlichen Faktoren massgebend sind, wer wir sind. Bereits in der vorgeburtlichen (pränatalen) Phase und während des gesamten Lebens nimmt die Umwelt Einfluss auf die Genausprägung (Genexpression). Dieser Einfluss hat Auswirkungen auf die Entwicklung und das Verhalten des Individuums.

Betrachten wir den Fall der Bienen. Er veranschaulicht einen eindrücklichen epigenetischen Mechanismus. Ein Bienenstaat besteht aus zehntausenden Arbeiterinnen, aber nur einer Königin. Ihre äusserliche Gestalt unterscheidet sich stark von den Arbeiterinnen: Ihr Hinterleib ist länger, sie hat keine Sammelbeine und ist als Einzige fruchtbar. Zudem ist ihr Verhalten völlig verschieden. Während die Arbeiterinnen im Laufe ihres kurzen Lebens verschiedene Rollen übernehmen, vom Ammen- über den Wächterdienst im Stock bis zur Sammlerin, so obliegt der Königin allein das Eierlegen. Trotzdem haben sowohl Arbeiterinnen als auch Königin identische Gene. In den ersten drei Tagen ihres Lebens werden alle Larven mit Gelée royale gefüttert, das von den Ammenbienen in der Futtersaftdrüse gebildet wird. Danach werden die Larven, die sich zu Arbeiterinnen entwickeln, mit Honig und Pollen genährt, während die Königinnenlarve von den Arbeiterinnen weiterhin mit Gelée royale gefüttert wird. Allein diese Differenz in der Ernährung hat nachhaltige Auswirkungen für das Bienenindividuum.

Die Umwelt wirkt sich auf die Gene aus, indem diese aktiviert oder deaktiviert werden, ohne dass diese verändert werden. Bei der Aktivierung werden bestimmte Gene mit einem biochemischen Molekül markiert. Man nennt diese Wirkung auf die Gene Epigenetik. Genetik und Epigenetik sind komplementär und bedingen sich gegenseitig. Das eine funktioniert nicht ohne das andere. Die Gene bilden sinnbildlich die Musiknoten (Partitur) eines Musikstücks und die Umwelt (Epigenetik) interpretiert und spielt die Musik. Zwar bleiben unsere Gene ein Leben lang weitgehend dieselben, die daraus entnommenen Informationen sind jedoch in hohem Masse veränderlich, formbar und anpassungsfähig. Wir sind also nicht zwangsläufig einem vorbestimmten Schicksal ausgeliefert, welches wir zu Beginn unseres Lebens von unseren Eltern in Form festgelegter Gene mitbekommen haben.

Der Einfluss von Umweltfaktoren auf den Aktivitätszustand von Genen (=Epigenom) unterliegt ständiger Veränderung. Das Epigenom bleibt während seiner gesamten Lebensdauer dynamisch und variiert in Abhängigkeit von zahlreichen Faktoren: Essgewohnheiten, körperliche Aktivität, Alkohol, Tabak, Drogen, Pestizide etc. Ausser den «äusseren» Faktoren wird unser Epigenom auch massgeblich durch «innere» Faktoren bestimmt, also emotionale Reaktionen, wie Stress, Kindheitstrauma, sexuelle oder körperliche Gewalt und Vernachlässigung. Dies kann zu psychischen, psychosomatischen und Stoffwechselproblemen führen, wie Depression, Phobien, Angststörungen, Magendarm- und Herzkreislaufstörungen. Heute weiss man, dass das Epigenom auch über Generationen weitervererbt werden kann und sich bei veränderter Umwelt umformen (transponieren) lässt.



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