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Veröffentlicht 27. Juli 2022

Storchenliebe – mit dem Nest verheiratet

  • Text und Bild: Ernst Hofmann
  • Urheber-/Nutzungsrechte: Link öffnen

Viele Menschen sind der Ansicht, die Störche lebten in vorbildlicher Einehe, sodass man sie als Symbol ehelicher Treue, familiären Glücks und reichen Kindersegens betrachten dürfe. Doch nichts ist falscher als das, denn Störche sind nur mit dem Nest verheiratet und nicht mit dem Partner.

Im Frühjahr treffen die Männchen von ihrer weiten Afrikareise oft zuerst beim alten Nest ein. Sie fliegen also nicht im gleichen Geschwader wie ihre Weibchen. Getrennte Wege sind aber kein Grund für ein Ehedrama. Die männlichen Heimkehrer besetzen zunächst das vorjährige Nest. In der Regel erscheinen einige Tage später die Weibchen und suchen ebenfalls nach ihrem alten Nest. So kommen die Partner des vergangenen Jahres allein durch die Nesttreue wieder zusammen. Die bewährte alte Heimstätte soll auch nach halbjähriger Abwesenheit im neuen Jahr zum gemeinsamen Zuhause erklärt werden. Die Landung auf dem Eigenheim wird mit heftigen Klappern angezeigt. Damit wird allen mitgeteilt, dass der Horst auf dem Dach besetzt ist. Dann folgt umgehend die Renovation und Instandsetzung des alten Nestes. Da nicht beide zusammen eintreffen, beginnt das Warten auf den Partner. Manchmal kommt ein fremder Storch und begehrt Einlass. Doch der ansässige Storch weiss, was sich gehört und vertreibt den Neuankömmling. Erst wenn der fehlende, echte Partner oder die letztjährige Partnerin eintrifft, wird mit dem gemeinsamen Begrüssungsklappern signalisiert, dass Einigkeit vorliegt. Die Paarbildung ist perfekt und die Storchendame lässt sich durch den freudigen Hausherrn dankbar begatten.

Doch manchmal, wenn es zu lange dauert, reisst der Geduldsfaden und ein junges, suchendes Weibchen wird nach einigen Tagen Bedenkzeit vom Hausherrn akzeptiert und nimmt den Platz der fehlenden Partnerin ein. Man arrangiert sich und je weiter der Frühling fortgeschritten ist, desto kürzer fällt die Kennenlernphase aus, und die Paarbildung ist perfekt. Schon in den nächsten Tagen werden die Eier, die Früchte der Storchenliebe, ins Nest gelegt. Alles scheint gut, das Storchenpärchen ist zufrieden und glücklich. Doch wenn dann die Partnerin des Vorjahres doch noch herbeigeflogen kommt, dann gibt es Zoff. Das läuft nicht immer reibungslos ab, hängt die Altstörchin doch an ihrem alten Nest und versucht nun dieses zurückzugewinnen. Dabei ist nicht immer von vornherein klar, welche der beiden Damen das Nest als ihr Eigentum behalten kann. Manchmal wird die Neustörchin von der Altstörchin vertrieben und das Nest von fremden Federn und Eiern gereinigt. Ist die Sympathie des Männchens aber auf der Seite der Neustörchin, so kann es sein, dass die alte vertrieben wird. Auf Ende August verlassen die Störche ihre Residenz und gehen auf die Reise nach Süden. Das Nest ist dann verwaist. Der Zugtrieb ist stärker als die Treue zur Heimstatt. Wenn sie hier blieben, müssten sie in der Winterzeit verhungern. Die Storchenfamilie löst sich auf. Jeder fliegt in einer grösseren Fluggemeinschaft an sein eigenes Ziel. Dabei verlieren sich die Ehepartner und Kinder aus den Augen bis zum nächsten Jahr.

 


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