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Veröffentlicht 02. Oktober 2024

178 Jahre Erleichterung

  • Bild: Von Wood Library/Museum, Park Ridge, IL. - Anesthesia Fact Sheet, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=10282641
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Man kann es sich heute gar nicht mehr vorstellen. Zum Glück nicht. Kann man sich nur im Entferntesten die Schmerzen einer Baucheröffnung oder einer Beinamputation vorstellen? Vor dem 16. Oktober 1846 war dies jedoch völlig normal. Die Patienten und Patientinnen waren irgendwann vor Schmerzen bewusstlos, bis dahin und auch danach war der chi­rurgische Eingriff ein Martyrium sondergleichen.

Der Zahnarzt William Thomas Green Morton verwand am oben genannten Tag erstmals Schwefel­äther zur Betäubung eines Patienten, dem ein Tumor am linksseitigen Kiefer entfernt wurde.

Er entwickelte, nachdem Versuche mit Lachgas nicht die gewünschte Wirkung erbracht hatten, das erste halb­offene Narkosegerät, indem ein mit Äther getränkter Schwamm in einen Glaskolben verbracht wurde, der zwei Öffnungen enthielt. Über die zuführende Öffnung atmete der Patient das Gemisch aus Raumluft und Äther aus dem Schwamm ein, über ein anderes getrenntes Ventil wieder aus.

An jenem Tag war nicht nur der operierende Chefchirurg der Harvard Universität, Dr. John Collins Warren, anwesend, sondern viele andere Wissenschaftler und Ärzte. Nachdem der Zahnarzt den Patienten einige tiefe Atemzüge durch das «Narkosegerät» machen liess, vermeldete er: «Der Patient ist bereit, Dr. Warren.»
Dieser operierte den Patienten zügiger als sonst, da sich der Patient nicht wie bis anhin ständig wehrte und festgehalten werden musste. Nach Beendigung der Operation und Anlage des Verbandes wendete sich Dr. Warren an das Auditorium mit dem berühmten Satz: «Gentlemen, this is no humbug.»

Der ebenfalls anwesende Dr. Henry Jacob Bigelow, einer der besten amerikanischen Chirurgen seiner Zeit, meinte: «Ich habe heute etwas gesehen, das um die Welt gehen wird.»

Die moderne Anästhesie war geboren und hat seitdem eine rasante Entwicklung genommen. Gasnarkosen sind grösstenteils verlassen worden, heute werden für eine Vollnarkose Medikamente intravenös verabreicht, welche deutlich weniger schädlich sind. Der Patient wird dabei künstlich beatmet und auch der Muskeltonus reduziert. Mit Schmerzkathetern und speziellen durch diese applizierte Medikamente können Arme und Beine oder wahlweise auch andere Regionen selektiv betäubt werden ohne eine Vollnarkose. Die Liste dieser Errungenschaften liesse sich noch lange fortsetzen. Fest steht: Ohne eine moderne und patientenzentrierte Anästhesie wäre die moderne Chirurgie weder möglich gewesen noch überhaupt entstanden.

Dr. med. Michael Kettenring

 


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