Skip to main content
Veröffentlicht 25. Juni 2020

Operieren oder nicht operieren?

  • Bild: Anna Shvets auf Pexels

Die Indikation für eine Operation, also die Abschätzung der Notwendigkeit einer operativen Massnahme, ist meist eine individuelle Entscheidung, wenn nicht eine lebensbedrohliche Situation (z. B. Darmverschluss, fortgeschrittene Blinddarmentzündung) besteht oder eine Situation, in denen die Vorteile einer Operation klar ersichtlich sind (z. B. verschobene Knochenbrüche).

Gerade in der Gelenkchirurgie (z. B. Meniskus am Knie, Einengung von Sehen an der Schulter) ändern sich diese immer wieder und sind sehr stark auch vom Anspruch der Patienten abhängig. Es ist gerade hier eine grosse Erfahrung notwendig, um dem Patienten die richtigen Empfehlungen und Ratschläge zu geben. Denn letztendlich entscheiden immer die Patienten, ob sie das Risiko einer Operation auf sich nehmen, um eine für sie unbefriedigende Situation – seien es Schmerzen oder eine nicht zufriedenstellende Funktion – zu verbessern. Es MUSS also in diesen Situationen NIE operiert werden. Es SOLLTE vielleicht … und die Gründe sind dem Patienten anschaulich und ohne Fachchinesisch zu erklären, so, dass er/sie dann die Entscheidung treffen kann.

Einer meiner Ausbilder sagte es so: Fast jeder auch Untalentierte kann irgendwie operieren lernen. Die Kunst besteht darin, dem richtigen Patienten die richtige Operation zukommen zu lassen.

Ergänzen kann man aus meiner Sicht auch: Nicht die falschen Patienten mit einer «lege-artis*»-Operation belasten. Dies ist genauso schlecht, wie die richtigen Patienten falsch zu operieren.

Dies ist meines Erachtens der eigentliche Anspruch der Chirurgie, dem nur mit viel Erfahrung auch in den einzelnen Op-Techniken und auch der Nachbehandlung entsprochen werden kann. Das ist Aufgabe der Ausbildung bis zum Facharzt und weit darüber hinaus. Bis zum Facharzt lernt man in 6 bis 8 Jahren gerade einmal die Grundlagen des Operierens, das eigentliche Sammeln von Erfahrung folgt erst zeitlich danach. Parallel dazu sollte man immer zumindest auf seinen Spezialgebieten (z. B. Knie- und Schulterchirurgie) wissenschaftlich auf dem neuesten Stand sein, sich auch einmal neue Entwicklungen bei Kollegen anschauen und die wichtigen Kongresse und Fortbildungsveranstaltungen besuchen.

Und auch dies: Wenn man etwas nicht beherrscht oder in ausreichender Anzahl operiert hat, gilt es, den Patienten weiterzuschicken. Jemandem zuweisen, von dem man weiss, dass er/sie es häufiger und deshalb auch sicherer durchführt.

Dr. Michael Kettenring

* nach den Regeln der Kunst (Anm. der Redaktion)


Beitrag teilen: