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Veröffentlicht 06. Juli 2017

Schneiden oder nicht schneiden

  • Bild: Dominik Karch auf Pixabay
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Schneiden oder nicht schneiden – diese Entscheidung ist in der Chirurgie nicht immer leicht. Manchmal ist sie das: Wird die Diagnose einer akuten Blinddarmentzündung, eines Oberschenkelbruches oder einer operativ behandelbaren, bösartigen Erkrankung gestellt, besteht die Notwendigkeit zur Operation.

Kann man jedoch Krankheiten oder Verletzungen mit einem chirurgischen Eingriff gut behandeln, hat aber auch befriedigende Ergebnisse ohne Operation, sieht die Entscheidungsfindung schon anders aus.

Bei einem Einklemmungssyndrom an der Schulter, einem sogenannten Schulterimpingment beispielsweise betragen die Erfolgsraten nach Operation, bei der man den einklemmenden Sehnenansätzen mehr Platz verschafft, ca. 85–90%.
Behandelt man die gleiche Erkrankung konservativ, das heisst mit ein bis zwei Injektionen unter den Schulterdachknochen mit anschliessender Physiotherapie und Instruktion eines Heimprogramms, kann man von einer Erfolgsrate von ca. 70 bis 75% ausgehen.

Hier ist die Erfolgsaussicht für die Operation zwar höher, man operiert jedoch jeden 6. bis 10. Patienten vergeblich, das heisst, man erreicht ein für den Patienten nicht befriedigendes Ergebnis. Bei einer konservativen Therapie kann man in diesem Beispiel 3 von 4 Patienten gut behandeln, dem vierten könnte man ja dann immer noch zu einer Operation raten. Abgesehen davon, dass man mit einer Operation die Beschwerden des Patienten auch deutlich vergrössern kann.

Auch bei noch unterschiedlicheren prozentualen Erfolgsergebnissen tendiere ich klar dazu, wo immer man eine akzeptable Aussicht auf eine Heilung ohne Operation hat, sollte man diesen Weg favorisieren.

Ich sehe leider auch in meiner Praxis immer wieder Fälle, die vor allem am Schultergelenk zu schnell operiert wurden. Und leider gibt es hier auch eine Stadt-/Landverteilung. Dort, wo viele Schulterchirurgen auf einen begrenzten Raum kommen, wie in grösseren Städten, ist die Operationsrate deutlich höher als anderswo. Dies ist – wie ich schon in mehreren Artikeln angemerkt habe - kein Ruhmesblatt für unsere Zunft.

Letztendlich ist die Entscheidungsfindung –schneiden oder nicht schneiden – ein Prozess zwischen Arzt und Patient, bei welchem auch noch andere Kriterien, wie Dauer der Rekonvaleszenz und Arbeitsunfähigkeit, Alter, sportliche Betätigung, soziales Umfeld etc. eine Rolle spielen.


Dr. med. Michael Kettenring


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