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Veröffentlicht 06. Dezember 2023

Detektivarbeit beim Tierarzt

Dieser Fall wäre eine Aufgabe für Sherlock Holmes gewesen. Wir hatten zwar keine Leiche, aber eine Katze mit sehr mysteriöser Verletzung. «Was kann das bloss sein?», fragte mich die Besitzerin.

«Schauen sie mal: Dieser Faden hing gestern am Schwanz von Momo und als ich genauer schauen wollte, hat’s massiv begonnen zu bluten.» Zum Glück war auch sie «detektivisch veranlagt» und hatte diesen Faden abgeschnitten und in einem Plastiksäckli mit dabei. Dazu eine Zwischenbemerkung: Sollte ihr Tier irgendwann mal irgendwas Undefinierbares im Fell, im Erbrochenen oder im Kot haben: Sichern sie das Beweismittel und bringen sie es mit in die Sprechstunde. Das macht es uns sehr viel einfacher herauszufinden, was es denn hätte gewesen sein können.

Zurück zu Momo: Wir untersuchten also zuerst den Faden: weisslich, mit etwas Blut dran, sehr reissfest. Kaum etwas Pflanzliches. Nähfaden, der sich beim Spielen um den Schwanz gewickelt hatte? Oder eine Angelschnur? Wie hätte so was passieren können? Oder wollte gar jemand die Katze quälen? Dann kam die Katze für den Untersuch an die Reihe: An der Schwanzspitze war immer noch der Rest des Fadens zu erkennen. Kaum hatte ich etwas daran «genoderet» (oder kennen sie ein gutes schriftdeutsches Wort dafür?), begann es wieder stark zu bluten und wir entdeckten einen längsverlaufenden 1 bis 2 cm langen Hautschnitt. Ohne saubere Naht wird das immer wieder bluten, und wir entschieden uns für eine Sedation und Lokalanästhesie. Nun war die Wunde auch genauer inspizierbar und der weisse Faden kam direkt aus der Wunde. Als ich etwas daran zog, schwänzelte die sedierte Katze und da war klar: Das musste ein Hautnerv sein. Vermutlich hatte ein Konkurrent seine messerscharfe Kralle in Momos Schwanzspitze und den Hautnerv geschlagen und beim Zurückziehen den Nerv rausgerissen. Der Fall war gelöst, die Wunde schnell vernäht und verbunden. Eine Spritze gegen die Schmerzen und eine zum Aufwachen und Momo durfte nach Hause. Das wär doch eine Geschichte fürs Dorfheftli, dachte ich laut und die Besitzer versprachen mir ein schönes Föteli von Momo zu schicken.

Autor: Dr. med. vet. Patrick Curschellas
Kleintierpraxis Dr. S. Küng AG, 6215 Beromünster
www.kleintierpraxiskueng.ch


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